Der Schriftsteller David Grossman, geboren 1954, hat im August 2006 im Libanon-Krieg seinen Sohn Uri verloren, der als Soldat der israelischen Armee getötet wurde. Am 17. April beging das Land seinen Gedenktag für gefallene Soldaten und Terroropfer. Dazu wurde in Tel Aviv erstmals eine Feier abgehalten, zu der auch Angehörige palästinensischer Opfer des Konflikts im Heiligen Land eingeladen wurden. Der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman wollte deren Teilnahme untersagen, scheiterte mit dieser Absicht aber am
Obersten Gerichtshof des Landes. David Grossman hielt auf der Feier eine Rede, die wir hier leicht gekürzt dokumentieren. (F.A.Z, 19.04.2018)
Wie wir hier zu Hause sein können
Eine Rede vor Israelis und Palästinensern / Von David GrossmannEs hat eine Menge Lärm und Aufregung rund um unsere Feier gegeben; aber wir vergessen darüber nicht, dass es hier um Erinnerung und Gemeinschaft geht. Der Lärm, auch wenn er noch anhält, liegt nun hinter uns, denn im Herzen dieses Abends herrscht tiefe Stille – die Stille der Leere durch den Verlust.
Meine Familie und ich haben Uri im Krieg verloren, einen jungen, freundlichen, klugen und lustigen Mann. Selbst nach fast zwölf Jahren fällt es mir schwer, darüber öffentlich zu sprechen. Es wird nie wieder sein wie vorher, noch wird es jemals wieder etwas Vergleichbares geben. Es ist unbeschreiblich schmerzhaft, mit diesem entschiedenen „Nein“ zurechtzukommen. Es gibt Augenblicke, in denen es fast alles an sich reißt, was man hat, ein jedes „Ja“.
Es ist schwierig und anstrengend, dauernd gegen das Gewicht des Verlusts anzukämpfen. Es ist schwierig, die Erinnerung vom Schmerz zu scheiden. Es tut weh, sich zu erinnern, aber zu vergessen ist noch fürchterlicher. Und wie leicht ist es in dieser Situation, sich Hass, Wut und Rachsucht zu überlassen. Aber immer dann, wenn ich durch Wut und Hass versucht werde, spüre ich, dass ich den lebendigen Kontakt zu meinem Sohn verliere. Ich habe meine Wahl getroffen. Und ich glaube, dass diejenigen, die heute Abend hier sind, dieselbe Wahl getroffen haben. Trauer isoliert nicht, sie verbindet und stärkt. Hier können selbst alte Feinde – Israelis und Palästinenser – sich in ihrer Trauer verbinden, ja sogar durch sie. Ich habe in den vergangenen Jahren manche Hinterbliebenenfamilien getroffen. Ich habe ihnen gesagt, dass man sich nach meiner Erfahrung selbst dann, wenn man sich selbst im Herzen des Schmerzes befindet, daran erinnern soll, dass es jedem anderen Familienmitglied erlaubt ist, so zu trauern, wie es will, wie es ist und wie seine Seele es von ihm verlangt. weiterlesen